Rede - Love Letters

Städtische Galerie Speyer - 15. Juli bis 4. September 2022
LOVE LETTERS
Harald Häuser - Malerei, Keramik, Zeichnung, Bronze - 1974-2022
KONTEXTE
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Rede

  
Franz Dudenhöffer, Leiter der Städtischen Galerie Speyer

Rede zur Einführung in die Ausstellung „Harald Häuser: Love letters – Werke aus fünf Jahrzehnten“ ,
gehalten am 15.7.2022 in der Städtischen Galerie Speyer

Meine sehr geehrten Damen und Herren,
liebes Ehepaar Gudrun und Harald Häuser,

der Maler, Zeichner, Illustrator und Plastiker Harald Häuser lässt uns teilhaben an knapp 50 Jahren
künstlerischen Schaffens, an seiner Arbeit mit Farben, Strukturen, Linien und Materialien, Ton und
Metall. Seine Ausstellung führt uns in einen von ihm neu geschaffenen Kosmos – als Gegenwelt
und zugleich als Erläuterung der von uns allen erfahrbaren Welt.
„Love letters“ überschreibt er diese Präsentation – Liebesbriefe, gerichtet an die Betrachter seiner Werke,
seiner Kunstwerke als Träger von codierten Botschaften, die sowohl von Farben als auch von geheimnisvollen
Schriftzeichen übermittelt werden und von den Betrachtern entschlüsselt, decodiert werden müssen.
Dabei denke ich an Franz Kafkas kurze Erzählung „Die kaiserliche Botschaft“, in der der Dichter
einen Kaiser schildert, der einem Boten eine Nachricht, nein, keine Nachricht, sondern eine
Botschaft übergibt, die der Bote überbringen soll. Allerdings wird ihm das nicht gelingen, weil
sich zahlreiche Hindernisse auf seinem unendlich weiten Weg befinden, die ihm das Erreichen
seines Ziels verwehren, unmöglich machen. „Niemand dringt hier durch“, heißt es, „Du aber sitzt
am Fenster und erträumst sie dir, wenn der Abend kommt“. So geht es dem Betrachter der Gemälde
Häusers. Sie sagen nicht gerade heraus, was sie sagen wollen, sondern fordern ihr Gegenüber,
halten es fest und verlangen von ihm Anstrengung und Auseinandersetzung, Bereitschaft zum
optischen Zuhören, zum geistigen Zwiegespräch. Dann aber eröffnen sich neue Räume, tiefe Räume
durch ein immer wieder aufreißendes Blau, das den Blick freigibt auf dahinter liegende Strukturen
und Farben. Häuser ist ein „Farbenkönner“- das ist sicher der erste Eindruck, den seine Bilder beim
Betrachter erzeugen. Und er ist zugleich ein Meister der Dynamik, der entgrenzenden Bewegung,
auf dessen Bildflächen sich ein Geschehen entlädt, ein Herausschleudern des lange Verborgenen,
ein Offenbarwerden von bisher Geheimnisvollen. Viele Bildtitel belegen das; sie erinnern an
Werden, Entstehung, an Geburt im weitesten Sinne des Wortes. Ich nenne einige:

- Die Geburt der Schrift
- Das Entstehen der Empfindung
- The birth of language
- Pflanzenschrift am Vulkan
- Die Auferstehung

Auch die Farbkontraste lassen das Auf und Ab von Bewegung erkennen: die Hell-dunkel-Kontraste,
der Warm-kalt-Kontrast; auch die unterschiedliche Pinselführung zeigt Gegensätze: glatt gezogene
Flächen, feinste Pinselstriche, gewischter Farbauftrag mit einem Tuch usw. So entsteht ein formal
und farblich äußerst vielgestaltiger Gesamteindruck – Vielfalt charakterisiert die
Farbenlandschaften der Bilder.
Sie zeigt sich auch in den Bildformaten: So mißt das in diesem
Raum zu sehende Bild „The birth of language“ 2,40 x 4 Meter und dürfte mit seiner Fläche wohl
die meisten Wohnräume überfordern. Aber wir finden auch kleine Formate, bis zu 20x20
Zentimeter.
Entstanden sind die durchgängig mit Acrylfarben gemalten Bilder nicht nur im Atelier, sondern z.B.
auch im open-air-Studio in Savannah/ Georgia während eines der zahlreichen Amerikaaufenthalte
des Künstlers; dort malte er ebenfalls „The birth of language III“, 1,75 x 2,70 Meter groß.

Der Künstler lässt uns auch an seinen Entwicklungsschritten teilhaben. Das Bild „Touché“, zu sehen
im oberen Raum 3, entstand 1974, als Häuser gerade einmal 17 Jahre alt war, und die neuesten
Arbeiten wurden für diese Ausstellung gemalt, in den Jahren 2020 -2022. Nahezu 50 Jahre
liegen dazwischen.
Wenden wir uns nun den Zeichnungen zu. Angelegt sind sie bereits in vielen der Gemälde als mehr
oder weniger gestrüppartig angelegtes Inventar von Formen, die an Schriftzeichen denken lassen,
die – wie schon gesagt – von uns nicht verstanden werden. Schrift verweist immer auf Sprache, ist
ein sekundäres System zum Festhalten und Übermitteln sprachlicher Äußerungen. Häuser
entwickelte sie unter dem Eindruck asiatischer Schriftsysteme, die er auf Reisen kennengelernt
hatte und die er zu einem von ihm geprägten individuellen Zeicheninventar ausgebaut hat.
Vom Zeichen zum Zeichnen ist phonetisch kein weiter Weg: In seinen Tuschezeichnungen lässt uns
der Künstler teilhaben an einem eruptiven inneren Prozess. Das möchte ich mit den eigenen Worten
des Künstlers erläutern, die ich mir zu zitieren erlaube:

„ Zeichnen ist Nicht-Denken.
Energie verschleudern aus dem unberührten Potential.
Leichter werden, innerlich zerfallen,
um die Außenschichten wegschleudern zu können.
Rotierend ins Zentrum, masselos zum Selbst“

So äußert sich Häuser schon im Jahr 1979 zu seiner zeichnerischen Arbeit.

Es ergibt sich nahezu organisch, dass er sich literarischen Texten zuwendet, Bücher illustriert, in
Dialog tritt mit der Dichtkunst Gottfried Benns und anderer Dichterinnen und Dichter. Wir haben
die Bücher in den Vitrinen des oberen Foyers ausgestellt. Der Zeichenduktus verrät die
Schnelligkeit, das Eruptive des Zeichnens, bei dem das Unterbewusste wohl die Oberhand gewinnt,
„Energie verschleudert wird“, wie wir eben gehört haben.

Als Fort- und Weiterführung des zeichnerischen Werks Harald Häusners in die räumliche
Dimension kann man seine Bronzen auffassen, von denen einige ausgestellt sind. Es handelt sich
durchweg um weibliche Torsi, deutlicher Hinweis auf entstehendes Leben, „Architekturen für die
Evolution“ und sie fügen sich ein in die Themenwelt der Gemälde.

Lassen Sie mich noch ein paar Worte zu den Keramiken, den Vasen und Schalen, äußern.
Wenn man als Künstler in Karlsruhe ausgebildet wird, kommt man nicht an der Staatlichen
Majolika-Manufaktur vorbei. Seit 1997 arbeitet Häuser mit ihr zusammen; als Beispiel dafür sehen
Sie im oberen Foyer eine große Bodenvase. Alle anderen Keramiken sind in Portugal entstanden, wo die
Keramik eine bedeutende Rolle spielt, auch in der Architektur. Harald Häuser bemalt dort Rohlinge
und läßt diese dann in einer Manufaktur brennen. Danach beginnt das große Zittern, bis die
zentnerschwere Fracht ausgeliefert ist und sich herausstellt, in welchem Zustand die Objekte die
lange Reise überstanden haben.

Meine Damen und Herren,
ich hoffe, es ist mir mit wenigen Worten gelungen, Ihnen ein paar Gedanken vermittelt zu haben,
um den Kunstwerken Harald Häusers angemessen begegnen zu können, sich ihren Botschaften zu
stellen. Sie sehen hier keine Retrospektive – dazu ist der Maler noch zu jung – sondern einen roten
Faden, der die verschiedenen Werkgruppen Harald Häusers miteinander verbindet, wie es Gudrun
Häuser im sehr schönen Ausstellungskatalog formuliert hat (S. 13).
Lassen Sie sich von den love letters erreichen und ansprechen
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